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Ein Haus zum Anklopfen
Von KARIN TRUSCHEIT (Text) und THOMAS DASHUBER (Fotos)
16. Mai 2023 · Uta Reinhardt und Jens Gadischke haben sich vor rund zehn Jahren im Tölzer Land ein Heim aus massivem Holz gebaut. Bereut haben sie es nie – im Gegenteil.
Zunächst fällt auf, was es nicht gibt: Klingel und Briefkasten. Und keinen Zaun ums Grundstück. Ist das Einzäunen zu deutsch, zu spießig? Jens Gadischke winkt ab. Nichts liegt ihm ferner, als mit Haus und Grund eine Botschaft senden zu wollen: Zäune seien eine Erfindung der neueren Zeit, die Höfe in Bayern seien früher gar nicht umzäunt gewesen. So gibt es also keinen Zaun um das Haus von Jens Gadischke und Uta Reinhardt, das seit 2014 in Reichersbeuern auf einer kleinen Anhöhe steht, nur einen Steinwurf von Kirche und Friedhof entfernt, Berge im Blick und Bäume vor der Tür. Und vielleicht liegt es auch am fehlenden Zaun, dass Uta Reinhardt immer wieder mit Nachbarn oder Spaziergängern plauscht, wenn sie im Garten werkelt, zwischen Lavendel und japanischer Kiefer, zwischen Rosen und Präriegras.
Die Hausherrin (geboren in Bielefeld) und der Hausherr (geboren in Berlin) fühlten sich im Dorf willkommen. Sie haben so ziemlich alles richtig gemacht als Zugereiste, die gekommen sind, um zu bleiben. Sie lieben den Ort und den Landstrich. Nicht nur mit dem üblichen „Oh, ist das hübsch hier“ der Münchner, die sie auch einmal waren. Jens Gadischke ist auch nach so vielen Jahren noch hingerissen vom Tölzer Land. „Diese schön geschwungenen Hügel, die sich dann in der Ferne zu Bergen auftürmen!“ Seine Frau wirft noch den „wunderbaren Tegernsee“ dazu, der nur 15 Minuten entfernt ist. „Schwimmen bis in den Dezember hinein!“ An Reichersbeuern gefällt der Malerin vor allem, wie sehr der Verstand der Menschen durch die Natur geschult sei. Ihr Mann, ein Ingenieur, weiß es zu schätzen, dass es im Dorf „keine Wichtigtuer und keine Bonzen“ gebe.
Ihre gelungene Integration förderte sicher auch, dass sie sich für ein Haus aus Holz entschieden, einen Baustoff mit regionalem Bezug. Und dass sie für die Gewerke fast nur Handwerker aus dem Ort einbezogen, die sich der Herausforderung gerne stellten. Sämtliche Installationen mussten sich dem Bau anpassen. Wer ein massives Holzhaus baut, hat es mit einem lebendigen Stoff zu tun. „Holz zieht sich zusammen, es schrumpft etwas mit der Zeit“, sagt Jens Gadischke. Masse und Schwerkraft lassen den Bau sinken. Innerhalb von drei Jahren setzt sich der Blockbau. „Für die Fachleute im Ort war das ein Novum, aber sie konnten damit sehr gut umgehen“, sagt Uta Reinhardt. Der Fensterbauer musste für die Fensterrahmen etwa sieben bis zehn Zentimeter Spielraum lassen, Wasserleitungen wurden mit vielen Muffen eingebaut, da sie mitsinken, teilweise gibt es Schlauchverbindungen zwischen den Rohren.
Dass sie ein Haus aus Holz bauen wollten, war Zufall. Eigentlich hatten sie sich vorgestellt, eine Ruine wieder herzurichten, aber daraus wurde nichts. Dann erfuhren sie von dem Grundstück und hörten von einem jungen Architekten-Duo, das mit Holz arbeitet. Nach vielen Gesprächen zogen die Münchner Architekten Clemens Nuyken und Christoph von Oefele das Fazit: Das kriegen wir hin! Knapp zehn Jahre ist das jetzt her. Die beiden haben es nie bereut. Sie wohnen hier zusammen mit Reinhardts Mutter, zwei Katzen (einer vom Bauernhof, einer von einer Müllkippe in Sofia) sowie sechs Sulmtaler und Blauen Königsberger Hühnern.
Die Hühner scharren an diesem ungemütlichen Märztag vor dem Haus – und freuen sich, als die Mutter von Uta Reinhardt mit einem großen Topf Haferflocken kommt. Sie können frei herumlaufen und wohnen standesgemäß – Jens Gadischke hat ihnen als Stall ein nicht minder hübsches Holzhaus gebaut. Das Leithuhn hat im Mai der Fuchs geholt. Das sei traurig gewesen, sagt Uta Reinhardt. Aber Füchse müssten im Frühjahr eben ihre Jungen versorgen. Ein anderes Huhn holte sich vor kurzem der Milan. „Wir wohnen schon außerhalb des Orts, da muss man damit zurechtkommen. So ist es auf dem Land.“
// Die Wand atmet, Feuchtigkeit entweicht nach außen, WÄRME hingegen bleibt drinnen. Holz kann wunderbar Wärme speichern und reflektieren – den SCHALL leider auch. //
Das Haus hat rund 300 Quadratmeter Wohnfläche. Räume gibt es nicht, abgesehen vom Wohnbereich der Mutter, von den Bädern und von einem Gäste-Apartment mit Extra-Eingang. Im Erdgeschoss wird gewohnt, gelesen, ferngesehen, gekocht, gegessen, im Atelier wird gearbeitet. Im ersten Stock sind Ankleide, Bad und ein Arbeitsbereich, in der Etage darüber ist die Schlafstatt. Das Holz für das Haus stammt von Hochlandfichten aus dem Salzkammergut, die besonders robust sind. Gebaut wurde es von einem Spezialisten für Massivholzhäuser, der Firma Chiemgauer Holzhaus. Die Eckverbindungen der Balken sind nach dem Schwalbenschwanz-Prinzip („Tiroler Schloss“) gesteckt, ohne Leim, ohne Schrauben. Nur die Lerchenholzschwelle ist auf den Fußboden aus versiegeltem Beton geschraubt worden, von der Hausherrin selbst. Warum Beton und kein Holz? Keine Stil-Entscheidung, sondern Pragmatismus. „Wir wollten sparen, also haben wir einfach das Fundament als Fußboden genutzt“, sagt sie. „Versiegelt haben wir die Bodenplatte mit allem Möglichen.“ So bekam der Beton Maserung, Glanz und Schutz. Die hellgraue Farbe passt wiederum zum hellen Karamell der Holzwände, die Uta Reinhardt vor dem Einzug zwei Wochen lang eigenhändig gekalkt hat.
Am Anfang sei er skeptisch gewesen, sagt Gadischke, ob es nicht auf die Dauer stören würde, immer auf dunkle Astlöcher zu schauen. Die Sorge war unbegründet. Das behutsame Kalken, das kein Übertünchen war, hat starke Kontraste abgemildert, die Holz-Optik dominiert weder die Bilder an der Wand noch die Möbel davor. Überhaupt: Holz ist zwar überall präsent, an den Wänden, an der Decke und als Brennholz, das, aufgeschichtet im Raumteiler, wie eine ausgesuchte Dekoration wirkt. Doch Hütten-Atmosphäre stellt sich nicht ein. Man könnte genauso gut eine Altbauetage betreten, was Luftigkeit (Raumhöhe: drei Meter) und Lässigkeit der Einrichtung zu verdanken ist. Ein wuchtiger Schrank aus der Renaissance mit massiven Messingbeschlägen, der aus Italien über Moskau, Berlin und Danzig nach Ostwestfalen in das Elternhaus von Uta Reinhardt kam. Ein sehr alter Teppich, den der Maler Fritz Wildhagen, der schon Walther Rathenau nach Afrika begleitet hatte, von einer Reise nach Afghanistan mitbrachte. Ein toffeebraunes Ledersofa aus den Siebzigern, ein zartgraues Buffet aus den Fünfzigern, ein Küchentisch mit gedrechselten Beinen in Petrol vom Flohmarkt. Dazwischen auch mal eine knallrote Lampe in Pilzform aus dem Space Age auf einem Hocker aus Glas. Das krasse Gegenteil von gebürstetem Stahl mit Filzkissen, dem üblichen „Alpen meets Modern“-Interieur vieler Eigenheime, Hotels und Gasthäuser im ländlichen Bayern.
Die Menschen in Reichersbeuern hätten durchweg positiv auf ihr Haus reagiert, sagt Uta Reinhardt. Nur vereinzelt hätten sie gehört: „Ein Haus muss aus Stein sein.“ Was sie und ihren Mann bis heute so für das Haus einnimmt, ist die Verbindung von Funktionalität und Einfachheit. Das Holz ist „dampfdiffusionsoffen“: Die Wand atmet, Feuchtigkeit entweicht nach außen, Wärme hingegen bleibt drinnen. Holz könne wunderbar Wärme nicht nur speichern, sondern auch reflektieren, sagt Uta Reinhardt. Den Schall leider auch, fügt Jens Gadischke hinzu. „Man hört durch die Wände wirklich viel, das muss einem klar sein.“ Das ist aber auch schon der einzige Nachteil, der ihnen zu ihrem Holzhaus einfällt.
// Glück im Winkel: Uta Reinhardt und Jens Gadischke lieben Land und Leute in Reichersbeuern. „Die Menschen hier sind sehr geradlinig." //
Die Wärme erzeugt ein Kachelofen ohne Kacheln. Der breite Ofen mit zwölf Zügen ist matt grau verputzt, angepasst an die Farbe des Fußbodens, er geht von unten im Wohnbereich einmal durch das ganze Haus bis nach oben. Schamottsteine speichern die Wärme über viele Stunden: Wenn abends mit Brennholz eingeheizt wird, reicht es für die Nacht und den Tag. Den Komfort muss man sich jedoch etwas erarbeiten. Gadischke zählt auf: Einmal im Jahr kommt das Holz, das draußen aufgeschichtet wird. Dann muss regelmäßig die Menge für einen Monat ins Haus – und die Asche aus dem Ofen wieder rausgeschafft werden. „Und jeden Abend muss eingeheizt werden.“ Das dauert ungefähr zehn Minuten, und bis die Wärme abgegeben wird, eine halbe Stunde. Für Gadischke läutet das Einheizen zugleich das Ende des Arbeitstags ein.
Ähnlich unkompliziert ist die Stromversorgung. Eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach erzeugt den Strom, den sie tagsüber verbrauchen. Waschmaschine, Bügeleisen, Geschirrspüler werden also nur benutzt, wenn die Sonne scheint. Das Licht für den Abend kommt aus dem normalen Netz, weil sie ihren erzeugten Strom nicht speichern können. Die Fixkosten halten sich in Grenzen. 250 Euro Nebenkosten haben sie im Monat, das Heizen kostet 800 Euro im Jahr. „Das Haus hat dieselbe Energieeffizienz wie ein technisch hochgerüstetes Haus“, sagt Ingenieur Gadischke. „Aber wir kommen ohne Wärmeaustauscher, ohne kompliziertes Lüftungssystem aus.“ Je einfacher die Ausstattung, umso weniger abhängig sei man von der Technik – und von Ausfall und Wartung.
Kaputtgehen kann auch die Türklingel nicht, es gibt sie ja gar nicht. „Man braucht sie nicht“, sagt Uta Reinhardt. „Die Leute klopfen oder nutzen die kleine Glocke neben der Tür.“ Das sei ein schöneres Geräusch als eine Klingel. Der fehlende Briefkasten stört nicht mal den Briefträger: Er legt die Post in eine Kiste in der Garage. Uta Reinhardt und Jens Gadischke sind sich des Glücks, so zu wohnen, bewusst. Manchmal gehen sie abends den Weg hoch, lassen den Blick zur Benediktenwand schweifen und schauen auf ihr Haus. Dazu trinken sie ein Bier, „unser Latifundienbierchen“.
Quelle: F.A.Z.-Magazin
Veröffentlicht: 16.05.2023 18:05 Uhr